Musiktherapie in Veteranen- und Pflegeeinrichtungen

„Einen Tropfen auf den heißen Stein“ – so bezeichnete in seiner Begrüßung Dr. Christoph Schwabe die Musiktherapie in Veteranen- und Pflegeeinrichtungen. Als stellvertretender Leiter der Akademie für angewandte Musiktherapie Crossen und als wissenschaftlicher Leiter dieser Tagung stellte er damit klar, dass die Thematik komplex und vielschichtig ist. Diese Diversität spiegelte sich in den Beiträgen wieder.
Am Vormittag übernahm Antje Stolz die Moderation und kündigte zu Beginn zwei Referenten an, die sich langjährig forschend und in der Arbeit erlebend, mit dem Altern und den damit verbundenen Krankheiten beschäftigt haben.
Prof. Dr. Dorothea Muthesius von der UdK Berlin zog in ihrem Vortrag Parallelen zu ihrer eigenen Biographie, zu ihrem eigenen Erleben des Älter-Werdens. Sie sprach die besondere Patient-Therapeuten-Situation an, in der der Patient oft viel älter als der Therapeut ist. Die Schwierigkeit besteht darin, dass man übers Älterwerden nur mitreden kann, wenn man es selbst erlebt. Viele ältere und alte Menschen fühlen sich jünger als sie sind, denn: „Gefühle altern nicht.“ Aber es gibt die Diskrepanz zum körperlichen Abbau verbunden mit der Erfahrung, sein Leben nicht mehr selbst bewältigen zu können. Das wird besonders prekär, wenn alte Menschen ins Heim kommen und dort Altwerden zwischen Integrität und Verzweiflung erleben. Die Frage „Ab wann ist man alt?“ lässt sich nicht einfach beantworten und eben darum lässt sich das Thema nicht scharf umreißen. Gelingt es uns, die Bedürfnisse der alten Menschen wirklich wahrzunehmen und darauf einzugehen – „Was fehlt, wenn alles da ist?“
Der alte demente Mensch muss nicht um jeden Preis aktiviert werden: „Schätzt die Lust nach Apathie.“

 

Prof. Dr. Thomas Wosch arbeitet an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg und beschäftigt sich in seinen Forschungen mit Altersdepression und Demenz. Eindrucksvoll legte er dar, dass Altenheimbewohner etwa doppelt so häufig an einer Depression leiden wie ihre gleichaltrigen Zeitgenossen außerhalb des Heims. Ursachen für Altersdepression sind zu finden im Partnerverlust, dem Ausstieg aus dem Berufsleben, der Verminderung körperlicher und geistiger Leistungen und dem Verlust von sozialen Kontakten. Und da kann Musiktherapie ansetzen und unter anderem das Wohlbefinden steigern, Ressourcen stärken, Selbstwirksamkeit erlebbar machen, Autonomie, Aufmerksamkeit und autobiografische Erinnerungen fördern. Die Effektivität von Musiktherapie gilt als erwiesen und so forderte er notwendigerweise, dass Musiktherapie die verschiedensten Bereiche im Heimalltag durchdringen sollte, und dieses voraussetzend, das Pflegepersonal damit vertraut gemacht werden sollte.
Dr. Christoph Schwabe begann seinen Vortrag „Was ist Musiktherapie und was nicht“ damit, dass er an die Feierabendheime erinnerte, in denen sich die alten Menschen an den alltäglich notwendigen Arbeiten beteiligten konnten, wohingegen heute Spielkonsolen Einzug in die Altenheime finden, die die alten Menschen aktivieren sollen. „Beziehungsstabilisierende Werte müssten gefördert werden.“ Diese Aussage bezieht sich nicht in erster Linie auf die Musiktherapie, aber stellt einen wichtigen Ansatzpunkt dar. Und damit wird klargestellt, was Musiktherapie unter anderem nicht ist: keine Fitmach- und Unterhaltungsveranstaltung. Um eine beziehungsstabilisierende Wirkung zu erzielen, müsste Musiktherapie in diesem Lebensstadium natürlich eine Dauerbehandlung sein.
Welches Gegenüber braucht der zu betreuende Mensch? Dieser Frage wandte sich Dr. Janka Kümmel, Ärztin und Musiktherapeutin, zu und beantwortet sie damit, dass der Therapeut verschiedene Ich-Kompetenzen besitzen sollte, also sich selbst gut wahrnehmen, unter anderem die eigene Abwehr, sich wohlwollend begegnen und sich selbst reflektieren können sollte. Ebenso sollte er eine grundsätzlich wertschätzende Haltung seinem Gegenüber einnehmen können, empathisch und kommunikativ sein. Diese und andere Kompetenzen stehen im Mittelpunkt der Ausbildung an der Akademie für angewandte Musiktherapie Crossen, was sie ausdrücklich würdigte.

 

Nach der Mittagspause übernahm Birgit Keil, Landesbeauftragte der DMVS in Thüringen und organisatorische Leiterin der Tagung, die Moderation im Wechsel mit Kerstin Rilke.
Die folgenden Vorträge wurden von Musiktherapeuten gehalten, die mit alten Menschen musiktherapeutisch arbeiten und aus ihrem reichen Erfahrungsschatz berichteten. Von nachlassender Konzentration an dem Nachmittag war nichts zu spüren. Im Gegenteil, gerade die praxisnahen Vorträge berührten und ließen Anteil an der Arbeit der MusiktherapeutInnen nehmen.
So beschrieb Christina Hoffmann in „Ich bin neu hier und noch klar im Kopf“ das Dilemma, in das eine Frau als Heimneuzugang gerät und wie ihre kognitiven Fähigkeiten innerhalb kürzester Zeit abbauten. Aber sie berichtete auch von sensiblen und aktivierenden Momenten während des Singens, ebenso wie von Entmündigung durch Heimpersonal. Kerstin Rilke, die einen Singkreis außerhalb des Heimes leitet, schilderte, wie beim Singen Erinnerungen geweckt werden, wie hier Befindlichkeiten wie Einsamkeit und Wertlosigkeit zur Sprache kommen, aber auch Freude, die letztlich in Aktivitäten mündet, wie beispielsweise beim Herbstsingen mit selbst gebackenem Kuchen. Matthias Trommler hat in unterschiedlichen Positionen mit alten Menschen gearbeitet und sie begleitet, erst als Pfleger, später als Musiktherapeut. So kannte er die Patienten sehr nahe oder mit einiger Distanz. Aber immer begegnete er ihnen beim Singen, bei „Hab mein Wage vollgelade“ ebenso wie bei „Kommt ein Vogel geflogen.“ „Beheimatung“ – Begegnungen im Heim und was das für alte Menschen bedeutet, beschrieb Magdalene Wohlfarth. „Heimat ist das, wo ich verstehe und verstanden werde.“ Und das heißt auch: „Die Leute wollen etwas tun!“, damit das Gefühl der Wertlosigkeit nicht bestimmend wird.
Immer wieder wurde vom Erleben des gemeinsamen Singens gesprochen, wie auch von Doreen Herbst, die mit Schatzkisten als Anregungen und viel Lebensfreude auf ihre Patienten zugeht. Oder von Birgit Keil, die mit ihrer Mutter im Heim auf dem Flur sang oder abends im Fahrstuhl die Arie der „Königin der Nacht“. Seit einiger Zeit leitet sie in eben diesem Heim, in dem auch die Tagung stattfand, einen Singkreis. Sarah und Ulf Renner schilderten, wie Musik da ansetzen kann, wo die Sprache missverständlich oder schlicht nicht mehr da ist. Der Patient ist der Leiderfahrene und der Therapeut kann von ihm lernen. Denn Musik entfaltet sich auch ohne Text. Ulf Renner beendete ihren gemeinsamen Vortrag mit einem Lied, in dessen Refrain folgende Zeilen erklangen:

„Vielleicht sind wir nicht schlau,
doch wir fühlen genau – wie du,
weil auch unser Herz schlägt.“

 

 

 

Im Anschluss an die Vorträge bündelte Ulrike Haase Aussagen aus dem Reichtum der Vorträge und leitete damit zur Diskussion ein. Viel Zeit war dafür nicht und so konnten nur Ansätze zum Weiterdenken angesprochen werden, z.B. wie sich das Liedgut künftiger Altenheim-Generationen verändert. Das Fazit dieser Tagung, gleichwohl simpel wie elementar, möchte ich beschreiben mit: Begegnung ist das wichtigste. Und ergänzend dazu Christoph Schwabes aktivierenden Schlusssatz: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Abschließend taten wir das, was so oft als wohltuend beschrieben wurde: singen. Und das wieder einmal unter der Leitung von Matthias Trommler.

Herzlichen Dank an alle, die inhaltlich und organisatorisch zum Gelingen dieser Tagung beigetragen haben!!

Sabine Schenke, Ressen (Gemeinde Schwielochsee)

 

 

Weitere Fotos des 4. Thüringer Musiktherapietages auf der Webseite der DMVS e.V.

Download Einladung zum 4. Thüringer Musiktherapietag